Kennt ihr den Film Oben?
Mama und Papa hatten mit mir diesen gruseligen Film den Abend zuvor geschaut. Ein älterer adretter Herr brennt in diesem mit Hilfe von Ballons durch. Er befestigt diese an seinem Haus und fliegt davon. Dass er alsbald gruselige Geschichten erlebt, soll an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben. Ich hatte die ganze Nacht schlimme Albträume.
Doch dann kam der Oberhammer. Mama hatte wie den Tag zuvor wieder groß Besuch eingeladen. Tante Oana, Tante Sandra, Onkel Ben und Br-Br Papa sollten vorbeikommen. Ich wartete erwartungsfroh auf das obligatorische Klopfen vor dem Eintritt durch die schwere Zimmertür. Hätte ich besser nicht gewartet!
Was ich erblickte, war ein Ballon, besser gesagt ein Heißluftballon. Tausend Gedanken schossen mir durch den Kopf. Was haben die vor? Wollen die mich auch auf eine gefährliche Reise schicken? Ich bin kaum zwei Tage da und schon wollen die mich loswerden? Unerhört. Kann jemand bitte das Kinderhilfswerk kontaktieren, ich bin beim Tippen der Kontaktdaten leider noch nicht so geübt.
Tanta Sandra und Onkel Ben, die dieses abscheuliche und verachtungswürdige DING in meine Nähe gebracht hatten, hatte ich in dieser Sekunde gefressen. Ich würde schreien und strampeln und furzen, um sie zu vertreiben. Als Gipfel der Geschmacklosigkeit hatten die beiden auch noch meinen Namen am Ballon angebracht. In großen Lettern prangerte dort C-H-A-R-L-O-T-T-E. Abstoßend. Die beiden kamen immer näher und näher, meine Nackenhaare stellten sich auf, mein Körper verkrampfte. Ich war vorbereitet, eine Orgie der Tränen und Schreie zu feiern, als weiteres Unbehagen in mir aufstieg. Der Ballon war gefüllt, gefüllt mit wunderschönen Accessoires. Lätzchen, Handtücher, ein Schlafsack und Schuhe. Wie jede richtige Dame fahr ich natürlich voll auf die Schuhe ab. Sie schimmerten ganz zauberhaft im Licht. Hatte ich meine Tante und meinen Onkel zu unrecht der Verletzung der Kinderrechtskonventionen verdächtigt? Ich wollte mich augenblicklich bei ihnen entschuldigen, konnte aber, so sehr ich es auch versuchte, kein Wort herausbringen. Zu groß war die Scham.
Die Stunden vergingen und alle feierten mich. Ich lernte schnell, dass ich nicht wirklich etwas tun musste, damit die Leute sich in mich verlieben. Vermutlich ist es eine Art Gabe, eine solche Ausstrahlung zu haben. Langsam wurde es dunkel, als es erneut an der Türe klopfte. Wie sich kurze Zeit später herausstellte, waren es Opa Sven und Schwester-von-Opa-also-Familientante Katrin. Ich sonnte mich in der Verzücktheit der beiden. Ob es wohl für jeden so einfach ist, gemocht zu werden?
Es war spät geworden. Papa, Opa und Tante Katrin rafften meine Geschenke zusammen. Ich wollte noch lautstark protestieren, konnte aber keinen Widerstand mehr leisten. Der Schlafsand hatte sich schon über mir verteilt. Mit Mama an meiner Seite schlief ich friedlich ein. Nichtsahnend, dass der folgende Tag allerhand Pein parat halten sollte.
